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Fachartikel


Systemisches Coaching - stattgefunden nach einer Firmenfusion (Merger). Was kann es bewirken und wie sinnvoll ist das?
von Veronika Naskau, MSc

Eingangs in diesem Artikel möchte ich noch festhalten, was systemisches Coaching ist und kurz den Ablauf eines Coachingprozesses schildern.

Was ist systemisches Coaching?
Ich verstehe Coaching als einen interaktiven personenzentrierten und lösungsorientierten Beratungs- und Begleitungsprozess im beruflichen Kontext. Die Interaktion mit dem Kunden/der Kundin ist eine Kooperation von Experten und Expertinnen. Systemisch heißt, dass nicht nur die Einzelperson, sondern auch die Beziehung und Vernetzung zu ihrem Umfeld berücksichtigt wird.

Dabei setzt der Prozess bei den ressourcen- und lösungsorientierten Kompetenzen des Kunden/der Kundin an. Diese werden aktiviert und gefördert. Der/Die Coach entwickelt gemeinsam mit dem Kunden/der Kundin individuelle, angemessene Lösungen in Passung an das System.

Ablauf des Coachingprozesses:
Der Erfolg in Coachingprozessen wird in hohem Maße von der gegenseitigen Wertschätzung zwischen Kunden/Kundinnen und Coach beeinflusst. Daher ist es sehr wichtig, dass vor Beginn des Coachings im Vorgespräch abgeklärt wird, ob Kunde/Kundin und Coach zusammen arbeiten können.

Im Coachingprozess ist der Kunde/die Kundin der Experte/die Expertin für seine/ihre Themen und der/die Coach ist der Prozessbegleiter/die Prozessbegleiterin, um gemeinsam mit dem Kunden/der Kundin Lösungswege für die Anliegen zu finden.
Der/Die Coach unterstützt den Kunden/die Kundin bei der Festlegung des zu erreichenden Ziels. Vorab wird besprochen, welche Methoden angewandt werden, um dieses Ziel zu erreichen.


In unserer Arbeitswelt sind wir ständig mit Veränderungen konfrontiert. Um diesen vielfältigen Herausforderungen begegnen zu können kann Coaching hilfreich sein. Mein Artikel bezieht sich konkret darauf, was systemisches Coaching nach einer bereits erfolgten Firmenfusion bewirken kann:

Firmenseitig wird bei Unternehmensfusionen meist die rationale, betriebswirtschaftliche, juristische Ebene betrachtet. Ob die Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen bereit sind die Fusion mit zu tragen, die Veränderung zu akzeptieren wird vom Management oft nicht genügend erkannt und eventuelle Folgen unterschätzt. Die durch die Fusion gewünschten Synergieeffekte können dadurch beeinträchtigt werden und der gewünschte Erfolg ausbleiben.
Ergänzend wäre es sinnvoll bei Firmenzusammenlegungen systemisches Coaching für betroffene Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen anzubieten, - um Gefühle der Ohnmacht, allgemeine Verunsicherung, womöglich einhergehend mit Verschlechterung der Arbeitsbedingungen/neuer, unbekannter Firmenkultur - zu verhindern.

„Geht man davon aus, dass Unternehmensfusionen scheitern können, weil es zu Reibungsverlusten, wie Demotivation, Überforderungen, Machtkämpfe, unnötige Diskussionen und Streitigkeiten, Reklamationen kommen kann - und kann durch Coaching der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen dieser Reibungsverlust gemildert oder sogar verhindert werden - so ergibt sich ein enormes Einsparungspotential. Konkreten Nutzen bietet Coaching im Bereich persönlicher Anliegen“ (Rauen 2003)

Probleme der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen die sich durch die Firmenfusion ergeben, können auf erweiterter Unternehmensebene, auf individueller Ebene oder auf der Beziehungsebene einem Lösungsansatz zugeführt werden.
Für Probleme die realistischer weise nicht auf Unternehmensebene gelöst werden können, wird womöglich auf einer anderen Ebene ein Lösungsansatz gefunden.

Auf der Unternehmensebene können die Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen in der Regel wenig Einfluss nehmen. Sie sind nicht in die Entscheidungsprozesse der Unternehmensvertreter mit eingebunden. Die Arbeitsbedingungen, Gehalt, neue Kollegen/Kolleginnen und dergleichen sind vorgegeben. Daher wird auf dieser Ebene eher selten der Lösungsansatz zu finden sein.

Auf der individuellen Ebene ist es für die Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen leichter Einfluss zu nehmen. Bewältigte Probleme in der Vergangenheit und damit verbundene Ressourcen können für zukünftige Lösungen maßgebend sein. Ein Perspektivenwechsel, daraus resultierende veränderte Sichtweisen kann eine Veränderung im Verhalten erwirken und somit eine Lösung durch systemisches Coaching gefunden werden.

Auf der Beziehungsebene können Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen Lösungsansätze beim Coaching erarbeiten. Interaktion mit anderen Kollegen/Kolleginnen und sich daraus womöglich ergebenden Probleme werden auf dieser Ebene gelöst. Interaktion von Einzelpersonen und Teams finden auf der Beziehungsebene statt.

Im Zuge der Erstellung meiner Master-Thesis wurden Jahre nach einem Merger Flugbegleitern/Flugbegleiterinnen systemisches Einzel-Coaching angeboten. Drei Coachingeinheiten pro Person á eine Stunde.
Die Flugbegleiter/Flugbegleiterinnen mussten vor dem ersten und nach dem letzten Coaching einen Fragebogen ausfüllen. Gemessen wurde dann die durch das Coaching stattgefundene Veränderung – Tendenz der Skala vor und nach dem Coaching.
Anschließend gab es noch ein Interview: Was hat sich verändert? Was war hilfreich/weniger hilfreich? Was ist vom Coaching in Erinnerung geblieben? Was konnte bereits umgesetzt werden?

Zum Zeitpunkt des Mergers wurde seitens der Unternehmensleitung keine professionelle Hilfestellung für die Probleme, die sich dadurch ergeben könnten, angeboten. Die Vorgesetzten waren zuversichtlich, dass die Professionalität und die Einstellung der Flugbegleiter/Flugbegleiterinnen zu ihrer Arbeit genügt um miteinander auszukommen und der Merger bewältigt werden kann. Dies funktionierte nur oberflächlich. Tatsächlich war es so, dass mit dem Merger nicht nur gute Gefühle verbunden waren. Alleine schon bei der Wahl der Anliegen und der Themen kam dies zu Tage.
Die gecoachten Flugbegleiter/Flugbegleiterinnen befanden sich in der Situation an der Tatsache nichts ändern zu können; ein Firmenwechsel war keine Option. Alle Kunden/Kundinnen waren somit tendenziell unzufrieden mit ihrer beruflichen Situation und konnten sich mit der neuen Firma und Firmenkultur nicht mehr so identifizieren wie sie es früher gewöhnt waren.

Systemisches Coaching war in diesem Zusammenhang ein geeignetes Mittel die Anliegen der Kunden/Kundinnen einem Lösungsansatz zuzuführen. Keiner der Kunden/Kundinnen hatte Erfahrung mit Coaching. Sie waren offen für den neuen Prozess und experimentierfreudig. Sie haben anschließend berichtet, dass diese Erfahrung für sie wunderbar war, dass sie jederzeit wieder diese Hilfe in Anspruch nehmen und systemisches Coaching auch weiter empfehlen werden.
Bei den gemessenen Veränderungen war eine Tendenz zu erkennen. Im persönlichen Interview der Kunden und Kundinnen wurde es noch eindeutiger erkennbar, dass systemisches Coaching Lösungsansätze für die individuellen Anliegen erwirken konnte.

Besonders erwähnt wurde das Setting, nämlich dass hier das Gespräch zwischen zwei Experten/Expertinnen auf Augenhöhe stattgefunden hat. Dadurch konnten sie sofort Vertrauen gewinnen. Sie konnten annehmen, dass ihnen keine gut gemeinten Ratschläge erteilt werden, wie sie es oft schon erlebt haben.
Die Lösungsansätze, trotz der oftmals gleichen Themen waren individuell. Die Kunden/Kundinnen wurden als Einzelperson mit ihrer subjektiven Wirklichkeit wahrgenommen, gleichzeitig mit dem Blick auf das Ganze unter Berücksichtigung der Beziehungen und Vernetzungen des Kunden/der Kundin. Als besonders wohltuend wurde von den Kunden/Kundinnen erwähnt, dass in ihrem Tempo gearbeitet wurde und alles erlaubt war.
Interpersonelle Konflikte die teilweise schon jahrelang bestanden, konnten durch systemisches Coaching vom Kunden/von der Kundin gelassener betrachtet werden, und somit konnten andere Handlungsoptionen erkannt werden.

Fazit:
Systemisches Coaching wird im Regelfall für Führungskräfte angeboten. Es wird davon ausgegangen, dass die Entscheidungsträger für das Erreichen der Unternehmensziele so gut wie möglich unterstützt werden sollen.
Die Untersuchung auf die sich dieser Artikel stützt hat bestätigt, dass der Merger, obwohl bereits Jahre vergangen waren, noch immer nicht verdaut war. Die Themenstellung bei den Coaching-Sitzungen hat dies eindeutig aufgezeigt. Nach nur drei Coaching-Stunden konnte ein wesentlicher Erfolg beobachtet werden.
Es ist daher davon auszugehen, dass systemisches Coaching zum Zeitpunkt des Mergers hätte angeboten werden sollen und das Entstehen unnötiger emotionaler Dissonanz hätte verhindert werden können.
Es ist durchaus ratsam, dass systemisches Coaching nicht nur für Führungskräfte sondern auch für alle Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen angeboten werden soll, damit weitgreifende Veränderungen in einem Unternehmen auch von den Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen mitgetragen werden und die gewünschten Synergien gehoben werden können.
Wenn Veränderungsprozesse von den Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen nicht mitgetragen werden, kann darunter der wirtschaftliche Erfolg massiv leiden. Von der Interaktion und verantwortungsvollem Handeln der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen ist ein Erfolg des Unternehmens abhängig.
Die gewünschten Synergien auf Grund einer Fusion, eines Changeprozesses können nur unter Beachtung dieser Tatsache wirksam werden.
Auch wenn durch Coaching Kosten verursacht werden, so sind diese Kosten im Vergleich mit den Kosten eines nicht erfolgreichen Veränderungsprozesses in einem Unternehmen als geringer anzusetzen.

Veronika Naskau, Msc
Systemische Coach
www.sonnenseite.org
 


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